Heute Morgen bin ich über einen Wikipedia-Artikel gestolpert, der super zum diesmonatigen Karneval der Rollenspielblogs passt. Es geht um Singapore, Michigans vielleicht berühmteste Geisterstadt.
Wenn man sich mit der Geschichte der Stadt befasst, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Die Stadt, bestehend aus zwei Sägemühlen einer normalen Mühle, zwei Banken, zwei Hotels, einigen General Stores und weiteren Gebäuden (insgesamt 23 Gebäude) hat es in nur 29 Jahren ihres Bestehens geschafft, einen veritablen Bankenskandal zu produzieren, einen 40 Tage andauernden Blizzard zu überstehen, im Anschluss Strandpiraterie zu betreiben, auf die Grundmauern abgebrannt und zum Schluss von eine Sandsturm verschluckt zu werden. Bravo. Andere Orte brachen dafür Jahrhunderte.
Ein ganz kurzer geschichtlicher Abriss für alle, die den Wikipedia-Eintrag nicht lesen wollen:
1829 wurde Singapore an der Mündung des Kalamanzoo Rivers am Lake Michigan von einem gewissen Oshea Wilder gegründet. Die beiden Sägemühlen verraten, dass es bei der Stadtgründung vor allem um die Ausbeutung der Wälder ging, das Holz sollte vor allem nach Chicago verschifft werden (1848 wurde dafür sogar ein Dreimast-Schoner, die Octavia, gebaut).
1838 gab es zwei Banken in der Stadt. Da es zwischen 1816 und 1863 keine Bankenaufsicht in Amerika gab, waren das eher zwielichtige Institutionen, die ihre eigenen Dollar-Noten druckten. 1838 waren so rund 50.000 $ im Umlauf, teilweise vom Präsidenten oder autorisierten Repräsentanten der Bank unterzeichnet, teilweise ohne jede Unterschrift. Wenn man bedenkt, dass 1 USD von damals einer Kaufkraft von etwa 3,125 heutigen Dollar entspricht… 1838 war sowieso ein interessantes Jahr, Michigan war damals gerade mal ein Jahr Teil der Vereinigten Staaten, drei Jahre zuvor hatte man sich noch einen Krieg mit Ohio um die Grenzen geliefert und man stecke gerade in einer Bankenkriese, die noch bis 1842 dauern sollte. 1865 gab es ein Gesetz zur Regulierung von Banken, danach sollten Banken 1/3 der ausgegebenen Geldnoten in Goldmünzen vorrätig zu haben. Davon waren die beiden Banken meilenweit entfernt. Also taten sich die beiden Geldhäuser zusammen, legten ihre Goldmünzen zusammen, zeigten den Goldschatz den angereisten Inspektoren in der einen Bank, lenkten die Inspektoren ab, brachten die Münzen quer durch die Stadt zur anderen Bank und zeigten dort die Münzen nochmals den Inspektoren. Als Wirtschaftswissenschaftler kann ich nur sagen: Respekt, die Herren von der Bank hatten Cojones!
1842 gab es einen Blizzard, der 40 Tage andauerte und die Nahrungsmittel in der Kleinstadt knapp werden ließ. Glücklicherweise war das Schiffswrack der Milwaukie, das da vor der Küste lag. Die hungernde Bevölkerung hat sich dann wohl an die alte Regel erinnert, dass Strandgut dem Finder gehört und das Wrack geplündert.
1846 wurde die Stadt verkauft. Der 8. Oktober 1871 war wohl ein Schicksalstag in der Geschichte des nördlichen Mittleren Westens. Chicago, Peshtigo, Holland und Mainstee brannten und auch Singapore ging an diesem Tag in Rauch auf. Der enorme Holzbedarf für den Wiederaufbau von fünf Städten führte zur Abholzung der ganzen Gegend, Singapore verlor dadurch seinen natürlichen Schutz vor Stürmen. Diese Stürme wirbelten den Sand auf (der Boden der Gegend ist reinster Sandboden, abgelagert durch die Großen Seen) und begrub dann 1875 den Ort komplett unter sich.
So, und was kann man mit solchen Infos anfangen? Das Städtchen eignet sich ideal für eine Kleine Sandbox. Die Anzahl der wirklich wichtigen Orte und NSCs ist überschaubar, die Sandbox aht fixe Eckdaten für einen Plot und ein fixes Ende (imho bracht auch eine Sandbox einen gewissen Plot oder zumindest zwei Fixpunkte (Anfang und Ende). Ohne das würde es mir als Spieler schnell langweilig werden. Das sich der Sandbox-Plot in Singapore (die Helden erleben Aufstieg und Niedergang einer Stadt mit und bestimmen deren Geschick an neuralgischen Punkten) über 29 Jahre hinzieht, ist nicht schlimm, wenn quasi im Zeitraffer gespielt wird. Ich hatte ja schon mal eine ähnliche Konstellation über 49 Jahre.
Mir fallen auf Anhieb drei Abenteuerideen ein:
Vierzig Tage Hunger (im Jahr 1842)
Nach dem verheerenden Blizzard machen sich einige Bewohner Singapores auf den Weg, um das gestrandete Schiff Milwaukie zu plündern. Ihnen stehen die Matrosen des Schiffes und deren Kapitän, James Smith, entgegen.
Die Helden_innen sind entweder Bürger aus Singapore, die unbedingt die Fracht der Milwaukie, Reis, Kartoffeln, Konserven und Medizin, erobern wollen oder aber Teil der Besatzung, die eben jenes verhindern müssen. Bei letzterem schwingt so ein bisschen Zombie-Feeling mit, wenn ausgemergelte, hungrige Gestalten sich durch Eis und Schnee kämpfen und versuchen, an Bord zu kommen. Je nachdem, wie die Helden_innen agieren, kommt es zu einem Shoot Out oder zu Verhandlungen mit der anderen Seite, bei der dann frischgedruckte Singapore-Dollar den Besitzer wechseln…
Stopp! Bundesagenten! (im Jahr 1865)
Die Helden_innen werden vom Bankdirektor der Bank of Singapore, Jacob Miller angeheuert. In einem Telegramm wurde er unterrichtet, dass Bundesagenten aus Washington DC auf dem Weg sind, die Banken Singapores auf deren Golddeckung zu prüfen. Nur wenn beide Banken ihre Münzen zusammenlegen würden, wäre genug Geld da, um die größere der Banken, die Bank of Singapore, vor dem sofortigen Bankrott zu retten. Die Helden_innen müssen am Tag der Inspektion also zuerst die Goldmünzen von der Bank of Allegan zur Bank of Singapore schaffen, dort, als Bankangestellte getarnt, die Münzen zählen lassen und dann die Münzen der Bank of Allegan mit ein paar tausend Golddollar der Bank of Singapore wieder in den Tesor der Bank of Allegan schaffen, ohne dass die Bundesagenten, deren Spitzel oder ein paar ortsansässige Personen mit zweifelhaften Leumund davon Wind bekommen…
Gelegenheit macht Diebe (im Jahr 1865)
Der Goldtransport quer durch die Stadt ist für den Bankdirektor der Bank of Allegan, Jeremia Springfield, der ideale Moment um sich abzusetzen. Zusammen mit den Golddollas seiner Bank und den Tausend Dollar der Bank of Singapore möchte sich der Bankpräsident auf dem Schoner Chicago nach Sault Ste. Marie in Kanada absetzen. Unterstützt wird der Bankdirektor von drei Outlaws, denen er einen Teil der Beute versprochen hat. Die Helden_innen bemerken den Diebstahl und nehmen die Verfolgung des Flüchtigen auf.
Ich finde diese Idee schreit nahezu nach einer Seeschlacht auf dem Lake Michigan, bringt also Piraten-und Freibeutermotive ins Western-Szenario ein (das erinnert mich ein bischen an Kapitän Kaiman von May). Schafft der Banker den Grenzübertritt, kommt ein zweiter Twist zur geschichte hinzu. Dann kann er nämlich ganz offiziell um den Schutz der örtlichen Polizei bitten, dir Helden_innen würden dann von gesetzestreuen Bürgern, die einem flüchtigen Dieb hinterherhetzten, zu Outlaws, die einen reichen Reisenden überfallen wollen…