Archiv für den Monat Dezember 2021

Rezension: Iron Widow – Ein feministischer Sci Fi- Befreiungsroman 

Ich hab mir wieder mal ein Hörbuch geleistet. Iron Widow (Achtung, Affinity Link) von Xiran Jay Zhao. Wow, was für ein Buch! Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, bei dem die Protagonistin so gezielt und kaltblütig auf Rachefeldzug geht (und das Ziel eben jenes Rachefeldzugs bald darauf auch killt) und sich dann so konsequent von allen gesellschaftlichen Zwängen befreit. Das Buch ist ein feministischer Aufschrei, eine Selbstermächtigung, eine Befreiung… und coole Sci Fi Literatur. 

Aber erst mal von vorn: Xiran Jay Zhao? Wer ist denn das? Eine Youtuberin. So bin zumindest ich auf die junge Chinesin, die in Kanada lebt, gestoßen. Ihr Kanal beschäftigt sich mit chinesischen (und anderen asiatischen) Einflüssen in diversen Filmen, so hat sie unter anderem die Mulan-Filme analysiert und Avatar auseinandergenommen. Auch über die chinesische Küche in amerikanischen China-Restaurants hat sie eine ungewohnt frische, interessante Meinung, die ich so noch nirgends gelesen habe. Toll sind auch ihre Kostüme, mit denen sie vor der Kamera auftritt. Xiran Jay Zhao hat nun zwei Romane geschrieben, wobei der jüngere nun dieses Jahr herausgekommen ist, der ältere nächstes Jahr folgen soll. 

Worum geht es nun in Iron Widow? Es geht um Wu Zetian, eine junge Frau Anfang 20, die in einer unfairen, patriarchalen Welt lebt und dort Rache will für den Tod ihrer älteren Schwester. Dass die Protagonistin so heißt wie eine erfolgreiche Kaiserin aus dem späten 6. Jhdt. ist kein Zufall, die Geschichte soll eine Neuinterpretation der Lebensgeschichte eben jener Kaiserin werden, mit Mechs und Aliens. 

Wu Zetian lebt in einer Welt, in der Frauen nur als Jungfrauen etwas wert sind. Nur können sie gegen ein stattliches Geld an die Armee, die Götter oder einen Bräutigam verkauft werden. Mit diesem Geld sollen dann die Söhne wiederum ihre Bräute kaufen können… ein Teufelskreis. Mädchen, die außerhalb der Ehe Sex haben (oder vergewaltigt werden) landen als Schande der Familie in einem Eisernen Schweinekäfig, der dann im nächsten Fluss versenkt wird. 

Wu Zetian lebt auch in einer Welt, in der Lotusfüße als Schönheitsideal gelten. Im Buch behindern die gebrochenen, verkrüppelten Füße die Protagonistin immer wieder und müssen auch täglich versorgt werden, um Entzündungen und Nekrosen zu verhindern.  

Wu Zetian lebt in einer chinesischen Welt. Alle Namen der Protagonisten, alle Fachwörter sind chinesisch. Die Kultur der Menschen ist chinesisch, das Denken… Im Roman spielen die Elemente-Lehre (also die 5 chinesischen, Erde, Wasser, Feuer Holz und Metall), Ying und Yang sowie Chi eine wichtige Rolle. 

Wu Zetian lebt in einer Postapokalypse. Die Erde wurde von den außerirdischen Hundun überrannt. Hunduns sind wesen ohne feste Form, aber mit einem besonderen Panzer aus Spirit Metall, einem mystischen Material, dessen Aussehen durch das Chin einer Person beeinflusst wird und aus dem auch die Mechs, im Buch Chrisalises genannt, bestehen. Von unserer Technik ist nicht mehr viel übrig. Es gibt Tablets und Hovercrafts, Kameradrohnen und Fernsehen, aber das meiste ging in der Invasion verloren. Eine Mauer schirmt das fiktive Zukunfts-China vor den Hundun ab, ähnlich der Chinesischen Mauer, die China vor den Mongolen (und anderen Reitervölkern) schützen sollten. Und an den Wachtürmen stehen eben jene Chrisalise, die von einem Paar, einem Piloten und seiner Konkubine, gelenkt werden und die Welt der Menschen schützen. 

Konkubine ist hier ein schönes Wort, potentielles Menschenopfer (Mädchenopfer an die Götter werden im Buch ebenfalls angedeutet) ist aber ein viel passenderes. Sobald ein Mädchen an die Armee verkauft wird, ist es so gut wie tot. Denn um die Mechs zu steuern benötigen beide Piloten ihr Chi. Solange beide gleich viel Chi einsetzen, ist alles gut, beide bleiben am Leben. Setzt ein Pilot mehr Chi ein, als der andere je aufbringen kann, dann quetscht er dessen Geist aus den Körper und tötet ihn. Dreimal dürft ihr raten, wer in den Mechs derjenige mit dem geringeren Chi ist… genau. Hinzu kommt, dass die Konkubinen ihren männlichen Kollegen sexuell zu Diensten sein müssen… eine scheußliche Welt, wenn man weiblich ist. 

Der Roman beginnt damit, wie sich Wu Zetian darauf vorbereitet, zur Armee zu gehen. Allerdings nicht, um ein Menschenopfer zu werden, sondern den Piloten zu töten, der ihre ältere Schwester auf dem Gewissen hat (die nicht in einer Schlacht fiel, sondern so erschlagen wurde, was dazu führte, dass Wu Zetians Familie keine Rente bekam und ihre Schwester in Familiengesprächen nicht wieder erwähnt wird. Sie ist gestorben… zum zweiten Mal). Diesen Racheplan setzt sie dann auch um, mit einer Gradlinigkeit, die ich so noch nirgends gelesen habe. Sogar ihren Freund und Liebsten (aber nicht Liebhaber, Schweinekäfig, ihr wisst ja) verlässt sie dafür. Sie nimmt auch in Kauf, dass bei einem Erfolg wohl ihre ganze Familie (ein wunderbar gestörtes Verhältnis. Psychologen, die mit Familienaufstellungen arbeiten, hätten ihre Freude dran) ausgelöscht wird. Der Mörder ihrer Schwester muss sterben. 

Das geling ihr auch auf die spektakulärste mögliche Art und Weise. Als Strafe wird sie indirekt zum Tode verurteit, sie soll die neue Konkubine des Iron Demon werden, dessen Pilot, ein Vater- und Brudermörder,bisher jede Konkubine vernichtet hat. Auch diesen ersten Flug übersteht sie, überlebt, begegnet ihrem Jugendfreund wieder und muss sich in einer Welt behaupten, die sich vor Iron Widows, Pilotenmördern, furchet. 

Wie gesagt, meiner Meinung nach ist das Hörbuch ist großartig. Die Geschichte um Wu Zetian entfaltet eine Wucht, der man sich nicht entziehen kann und die chinesische Kultur, die immer wieder aufblitzt, gibt dem ganzen noch einen ganz speziellen Drive. Augenöffner sind die Szenen, in denen Wu Zetian erkennt, dass das männliche Gegenüber sie mit ihren Schamgefühlen unterjochen möchte, sie aber weiß, dass Scham ein gesellschaftliches Konstrukt ist und sie, durch ihre Taten, sowieso als schamlose, böse, monsterhafte Person, als neunschwänzige Füchsin (hier nicht in der uns bekannteren japanischen, lüsternen, tricksterhaften Kitsune-Versinon sondern der chinesischen Originalversion, die viel monsterhafter, dunkler daherkommt), wahrgenommen wird. In diesen Momenten gewinnt die Protagonistin eine ungeahnte Tiefe und Macht. Zu stark, um sie einfach zu töten, zu unkontrolliert, um sie am Leben zu lassen… einfach genial mächtig.  Achja… ich hab mir das Hörbuch von meinem eigenen Geld gekauft, weil ich Xiran Jay Zhao gut finde. Ich kriege kein Belegexemplar, noch irgend eine Bezahlung für diese Rezension.

Von Schwertern, Dämonen, Tunneln und OSR – Eine Retrospektive

Ich hab ja damals beim Ulisses-Classic-Crowdfunding mitgemacht und die Originalregeln für Tunnels & Trolls, bzw. deren deutsche Übersetzung, Schwerter und Dämonen, besorgt. So gehyped wie ich war (und wie es meinem Naturell entspricht, wenn ich mich für ein neues Thema begeistere) bin ich nach dem Klick fürs Crowdfunding auf DriveThru gegangen und habe mir verschiedene Regelversionen besorgt (fragt nicht warum). Nun sitze ich hier mit PDFs der Classic Version, der Classics 5th Edition von 1979 in der Überarbeitung von 2020 und den Deluxe Tunnels & Trolls Regeln von 2015.

Was mach ich jetzt mit den ganzen Regeln? Natürlich vergleichen und analysieren! Über die Classic Crowdfunding Version habe ich ja schon hier ein paar Gedanken verloren, also beschränke ich mich hier vor allem auf die beiden anderen Versionen und den Vergleich.

Eine Held*in wird geboren

Beginnen wir mit der Charaktererschaffung. Die ist bei allen Versionen gleich. Das bedeutet, dass alle Versionen miteinander kompatibel sind. Die Summe aus 3W6 ergibt den Wert eines Attributes, 5 Attribute gibt es usw. Auch die Klassen (Krieger, Maier, Schurke) sind noch gleichgeblieben. Unterschiede gibt es in Detailregeln, etwa bei Rettungswürfen, bei denen in der Deluxe-Variante die Stufe der Helden keine Rolle mehr spielt.

Bei der 5th Edition und der Deluxe Version sind, neben den fantasy-typischen Waffen auch Gewehre und Kanonen drin. Das, muss ich sagen, ist schon eine coole Idee und öffnet das Spiel. Piratenszenario mit Kanonendonner? In T&T möglich. In der Deluxe-Version werden auch Regeln für den unbewaffneten Kampf vorgestellt. Kung Fu Mönch, here we come!

Die Deluxe-Version wartet zudem mit einem Talentsystem auf. Talente sind dabei ein Bonus von 3 Punkten, den ich auf den Wurf eines beliebigen Attributes (der Wert muss über 10 sein) hinzuaddieren kann, um eine Aufgabe zu erledigen.

Beispiel: Die Held*in hat das Talent Büchsenmacherin (Gunsmith) und ein Charisma von 11. Sie möchte eine Silberne Pistole bauen. Da die Held*in mehr als 10 in diesem Attribut hat, geht das in Ordnung. Der Wert für den Rettungswurf beträgt also 14. Die Silberpistole soll einfach sein, daher ein Wurf der 1. Stufe. 20 – 14 ist 6, die Held*in würfelt mit 2W6 und muss mehr als 6 Augen erwürfeln.

Ich finde die Idee mit den Talenten nett und ganz praktikabel. Auch für das Problem der weiten und engen Talente haben die eine praktikable Lösung gefunden.

Magie im Spiel

Auch das Magiesystem in allen drei Versionen ist weitgehend gleich, nur ein paar Aspekte haben sich geändert oder sind hinzugekommen. Bei der Deluxe-Version gibt es nun verschiedene Schulen der Magie, zu denen ein Zauber zugeordnet wird. Das führt auch dazu, dass es in dieser Version zwei Anhänge gibt, die die Zauber auf verschiedene Arten sortieren. Mal grundsätzlich: Wenn ich, wie D&D und eben hier T&T ein Magiesystem habe, dass auf Spruchslots bzw. Spruchstufen basiert, brauche ich (zumindest als Spielleitender) keine andere Formatierung. Alphabetische Sortierungen finde ich unsinnig, eine Sortierung nach Schulen geht eher in Ordnung, weil das hilft, bestimmte Formeln zu finden.

In der Deluxe-Version werden auch Regeln für Zauberstäbe, Amulette und Talismane vorgestellt.

Zusatzregeln

In der 5th Edition finden sich noch ein paar Regeln zur Anpassung von Monstern. Zusatzregeln finden sich auch in der Deluxe-Version. Die ist, was dies angeht, ziemlich gut. Hier erden neue Spezies vorgestellt (die aus Monsters! Monsters! Bekannt sind und für das Basisspiel angepasst wurden). Nun können Spielende auch Orks, Oger, Harpyien oder Echsenwesen spielen.

In allen Editionen gibt es das Fleisch, das man für Abenteuer braucht: Zufallstabellen für wandelnde Monster und Schätze. Die umfangreichste ist in der 5th-Edition.

Die 5the-Edition hat auch Regeln für Mitlinge, die oben genannten Kanonenregeln und Berserker-Regeln (die sind auch in der Ulisses-Version drin).

Trollworld – die Welt für T&T

Ich komme ja aus der DSA-Ecke, mach bei MM mit und habe Rakshazar mitentwickelt. Ich bin also ein Weltenbaufuzzi, kein Regelfuzzi. Nur eine Version des Regelwerks hat eine Weltenbeschreibung dirn (in der Deluxe-Version, die Trollwelt). Und obwohl ich Weltenbaufuzzi bin, war ich beim ersten querlesen nicht glücklich darüber. Für mich ist T&T ein Regelwerk, mit dem Spielleitende die eigene Welt gestallten können. Eine ausformulierte Welt, die irgendwann in der Entwicklung des Spieles dazukommt, fühlt sich nicht richtig an. Im Gegensatz dazu DSA. Da it die Welt von Anfang an dabei und lebt und entwickelt sich weiter.

Trotzdem, die Weltbeschreibung ist gut, sie enthält neben etlichen Stadt- und Dungeonkarten auch ein paar ordentliche Abenteueraufhänger. Beispielsweise in der Stadtbeschreibung von Khazan gibt es eine interessante Location:

Cemetery: A few dozen family crypts and a mortuary are located here. A powerful necromancer “lives” in a luxurious tomb and maintains a personal troop of zombies. He has an alliance with the Goddess, and seldom visits the surface or causes any trouble, but he hates the human adventurers who sometimes try to rob him of treasure and magical artifacts. A tunnel from the Arena leads here, where fallen gladiators are taken for burial preparation and sometimes are converted into zombie minions of the necromancer

Quelle: Deluxe-Version Tunnels &Trolls, S. 272

Husch husch, ab ins Abenteuer!

In allen Versionen gibt es Abenteuer, wobei in der Ulisses-Classic-Version der größte Teil alte Abenteuer sind, die in die PDF geklatscht wurden. Insgesamt sind 5 Abenteuer in dem PDF, wobei die meisten davon Solo-Abenteuer sind.

Kurz ein Einschub zu den Solo-Abenteuern. Ich find die Verweise auf die einzelnen Abschnitte interessant gelöst. Jede Abschnittsnummer besteht aus einer Seitenzahl und einem Buschstaben, der der den Textabschnitt auf der Seite festlegt. Beispiel 11C meint den Textabschnitt C auf der Seite 11. Für mich, der nur fortlaufende Nummerierung kennt, finde ich diese Organisation neu und frisch. Als Autor müsste ich mal ausprobieren, wie das beim Schreiben so ist.

Die 5th-Edition hat die Trollstone Carverns, ein Gruppenabenteuer mit dem typischen Old School Sarkasmus. Beispiel gefällig?

1 If there is anyone in the party of 3rd level or h igher, the ghost of a Troll appears and warns them to turn back. Anyone of level 3 or h igher who d isregards the warning and passes Point 2 loses all EP and has each attribute divided by his or her level number. The ghost is immune to all magic.

Quelle: 5th Edition, S. 74

Cool finde ich die Idee, dass die Spielleitung auf Kärtchen aufschreiben soll, was die Held*innen allses an Dold und Silber haben, um das dann, sollte die Gruppe sterben, zu den beiden Schatzhorten legen kann.

Das Abenteuer ist kurz, 2 Seiten Dungeonbeschreibung, eine Seite Karte, dat wars.

Die Deluxe-Variante hat ein interessantes Solo-Abenteuer: das Abyss Solitaire Adveture. Die Held*in startet hier nach dessen Ableben im Jenseits, Ziel ist es, wieder ins Leben zu kommen (mit all den Schätzen und Erfahrungen des Jenseits). Ebenfalls richtig toll finde ich, dass in der Deluxe-Version eine kleine dreiteilige Kampagne dabei ist, und zwar Into Zorr. Cool finde ich in dem dritten Teil der Kampagne, in der die Held*innen in einen Vulkan müssen. Dazu trinken sie einen Trank, der nur maximal 3 Runden hält (aber auch nur, wenn ein Rettungswurf der CON gelingt der Stufe 1 gelingt). Von den Tränken sind nur sind so viele da, dass jede Held*in nur 3 zur Verfügung hat. Bei der Erkundung des Dungeons steht man also ordentlich unter Zeitdruck, was ich als DM grundsätzlich gut finde.

Fazit

Egal welche Version man auch wählt: Tunnel & Trolls ist ein Old School Rollenspiel, dessen Regeln leicht zu erlernen sind, das Ausbaumöglichkeiten besitzt und den Charme der 70ger und 80ger verströmt. Ich persönlich würde die Deluxe-Version wählen, weil mich die Möglichkeit, mal eine Harpyie zu spielen, sehr reizt. Die besten Abenteuer sind in der Ulisses-Classic-Version und der Deluxe-Version. Die 5th Edition kann ich mir sparen, wenn ich die Deluxe-Version kaufe, weil da auch die Kanonen-und-Schießpulvergeschichte drin ist. Einzig die Mietlingsgeschichte wäre interessant und würde den Kauf der 5th Edition rechtfertigen, wenn die nicht nur eine viertel Seite lang wäre. Das Abenteuer der 5th Edition ist zwar interessant, aber zu kurz. Als Einsteiger-Abenteuer passt es aber schon.