Karneval der Rollenspielblogs: Piraten – Eine kleine Kurzgeschichte

Hier mal eine kleine, feine Geschichte über Torwaler in Myranor. Der Text sollte ursprünglich in der nächsten Ausgabe der 7 Kreuzer erscheinen. Da der Riesländer aber momentan gut mit anderen Projekten eingedeckt ist, veröffentliche ich den Text jetzt mal hier. In diesem Text geht es um Piraten, die auf der Suche nach Wissen sind und für die Gold zwar wichtig, aber nachrangig sind.

Das Gathiadda-Syndrom

Haldingrad. Der zivilisierte Teil. Naja, eher der gerade noch zivilisierte Teil. Dabei hatte Mortischa noch Glück. Eigentlich war sie ja selber Schuld daran. Was musste sie diesen Senator auch öffentlich, an ihrem Mentor und dem gesamten Haus vorbei, im Senat bezichtigen, ein Diener der Dyrakal zu sein. Alles nur auf Basis von ein paar lückenhaften Stammbäumen, ein paar Dokumenten aus zweifelhafter Quelle und einen beschworenen Totengeist, der dann vor dem Senat die gegenteilige Aussage machte. Sie hatte Glück, dass man sie hierher verbannte, auf eine einsame „Forschungsdomäne“ der Onachos (in Wirklichkeit war dies eher ein Gefängnis) am Rande der bekannten Welt. Die letzte Nachricht, die sie von ihrem Mentor erhielt, war beunruhigend gewesen. Kurz nach ihrer Abreise schrieb er einen Brief, der von Enttäuschung nur so triefte und zusätzlich die Nachricht erhielt, dass ein Anschlag auf ihr altes Zimmer stattgefunden hatte. Ein Feuerdämon verwüstete das Zimmer, die neue Bewohnerin, die erst an jenem Abend eingezogen war, verbrannte bis zur Unkenntlichkeit.

Nun saß sie auf Ahnenehr. einer Domäne nahe Lærvik. Die Domäne war ein kleines Fischerdorf, etwa 20 Familien lebten hier, fast alles Hialdinger. Nur ihr Diener war der einzige Nichtmensch. Ein räudiger alter Katzenmensch, zänkisch, verbiestert, eher Gefängnisswärter als Diener. Der Ort lag, sofern man das von diesen rauen Küsten sagen konnte, recht malerisch an einer steilen Klippe. Die Häuser waren auf schmalen Vorsprüngen an der Klippe gebaut, eine Steinerne Treppe führte vom Hafen, in dem ein altes Drachenboot lag, über die Terrassen , auf denen die Häuser gebaut waren, hinauf zu ihrem Gefängnis, dem Dom von Ahnenehr. Hier sollte sie, eingesperrt in den stickigen Fluren und meist fensterlosen Zimmern, ihre Strafe ableisten und Ordnung in die hiesige Bibliothek bringen. Wobei der Begriff Bibliothek blanker Hohn war. Hier lagerten uralte Schullektüren des Hauses, zerschlissene Programmhefte der Theater in Trivina, alte Manuskripte nie veröffentlichter Bücher, Schundromane, Liebesbriefe und vieles mehr, was irgendwann mal auf Papier gebannt wurde, weil sein Autor es für aufschreibenswert hielt, aber von seinen Zeitgenossen als Verschwendung von Zeit und Papier angesehen wurde. Wir Onachos werfen ja nichts weg, dachte Mortischa, als sie einen Packen über 200 Jahre alter Eienkaufslisten sortierte.

Gerade las sie eine Einkaufsliste, die ein Feinschmecker ihreres Hauses vor fast 500 Jahren in Balan Cantara geschrieben hatte. Amaunir auf Tharpurische Art. Einen  mittelschweren Amaunir,Maronen, Olivenöl, Tropenfrüchte, Mayenos-Feuerpulver ,Tharpurische Feuerschoten… sie fragte sich, wie ihr Diener bzw. Wächter schmecken würde. Bestimmt zäh und ungenießbar. Da fiel ihr auf, dass es hell geworden war in dem kleinen Arbeitszimmer. Licht fiel durch eines der wenigen Fester im Dom. Das Licht wäre nicht ungewöhnlich, immerhin liegt das Fenster im Osten, wenn nicht gerade die magische, sich selbst umdehende und dabei laut mit einer geisterhaften Grabesstimme rufende, Sanduhr gerade Mitternacht angezeigt hätte. Schnell schob Mortischa einen Stul zum schmalen Fenster und kletterte hinauf, um besser ins Dorf sehen zu können. Was sie sah, ließ ihren Atem stocken.

Haldinger-Piraten.

An der Mole lag ein großes Schiff, einen Drachenkopf am Steven, jedoch kein ärmlicher Drachen, wie ihn die Haldinger schon vor Jahrtausenden und noch heute ab und zu nutzen. Die Lager am Hafen wurden gebrandschatzt, Fliehende drängten sich die Terrassen nach oben, gerade ging ein Wohnhaus in Flammen auf. Und große, mit Äxten bewaffnete Hünen bahnten sich ihren Weg nach oben zum Dom.

“Adepta, Herrin, wir werden angegriffen. Die Garde wartet auf Sie.” Haldgried, die Prokuratin und eigentliche Herrin der Domäne war eingetreten. “Ja, richtig. Sagt ihnen, ich komme.”

Von Optimaten erwartet man viel. Sie sollen meisterliche Zauberer sein und gute Politiker, immerhin dürften nur Optimaten Senator oder Horas werden. Eigentlich jeder Rang in der Verwaltung lag in den Händen eines Optimaten. Auch die hohen militärischen Ränge wurden von Optimaten besetzt. Wenn ein Optimat zugegen war, egal wie geschickt, erfahren oder magisch begabt er war, ihm würde augenblicklich die Führung übergeben werden. Mortischa war weder erfahren in Politik (sonst wäre sie nicht hier gewesen irgendwo als Sub-Prätorin irgend eines Kultes), noch in militärischen Dingen, aber einen Totengeist, den konnte sie rufen. Zehn Minuten später trat sie aus dem Arbeitszimmer hinaus in den Gang, der zur Eingangshalle führte, an ihrer Seite ein Schatten, ein Phantom, der Geist eines Haldinger-Piraten, der 4286 bei der Strafexpedition Dorokrat Anaxandridas ums Leben kam.

Die Truppen, sie bestanden gerade einmal aus 20 Mann, waren in der Halle angetreten und warteten auf Befehle. Noch ehe Mortischa irgend etwas zu den Versammelten sagen konnte, noch bevor ein Befehl ausgesprochen wurde, explodierte die Eingangstür. Ein Orkan. Er Zerriss das Tor. Die Fremden waren im Dom.

Der Kampf war hart, blutig und… erschreckend kurz. Fünf Optimaten… oder zumindest Saithakenner, fünf Krieger. Einer sprach ein Wort, dass sich wie “Fulminiktus” anhöhrte, und ihr Geist hörte auf, zu existieren. Äxte flogen durch den Raum. Ein Orkan, und die Hälfte der Männer lag mit zerschmetternden Gliedern auf dem Rücken, am Schluss waren sie nur noch zu dritt einem Archiv. Mortischa, ihr Diener und die Prokuratin. Verschanzt hinter einem umgestürzten Tisch, mit zwei Baelas, 20 Schuss Munition, einem Säbel und zwei Dolchen.

Vor der Tür zum Archiv hatten sich die Angreifer hinter einem umgestürzten Regal eingegraben. Ein Patt, zumindest vorübergehend. Immer wieder einmal lugte einer von ihnen über ihre Barrikade, so, als suchten sie etwas. Ein Flammenschwert flammte kurz auf, der Widerschein erhellte die düstere Halle. Sofort schienen die Angreifer sich zu zanken. Gut für mich, dachte Morticia, Zeit, einen Archonen zu beschwören. Schon begann sie, die Matrix zu formen. Schwer, vielleicht zu schwer? Nein, sie hatte andere Chance und, ganz ehrlich, kaum mehr Kraft.

Ein “Bist Du eine Zauberin?” riss sie aus der Konzentration. Haldingisch? Nein, das hörte sich etwas anderes an. Ja, es gab Ähnlichkeiten, aber… “Bist du eine Optima?” Jemand von den Angreifern versuchte es jetzt doch mit Haldingisch,einer Sprache, die nicht mal die Haldinger seit 2000 Jahren mehr sprachen. Er wiederholte seine Frage: “Bist du eine Optima?” “Ja, ich bin einen Optima Morticia de Onachos. Wer seid Ihr?” “Kannst Du das lesen?” “Was? Wer seid ihr?” Kannst Du das lesen, das Bücher?” In Haldingisch scheinen die ja nicht so fit zu sein. Falscher Artikel, es müsste die Bücher…

“Nochmal. Kannst du das Lesen?” “Jadoch, ich kann das Lesen! Wer seid ihr, ihr ungehobelten Barbaren?” Die Angreifer begannen wieder, untereinander zu Zanken. “Herrin, sollen wir einen Gegenangriff starten, solange sie abgelenkt sind?” fragte die Prokuratin. Morticia gebot ihr zu schweigen.Vielleicht würden die Fremden das Archiv nur plündern. Da sie nicht lesen konnten, würde Mortica ihnen alte Einkaufslisten und schmalzige Liebesbriefe unterjubeln. Warum interessierten sich diese Barbaren überhaupt für Bücher? Suchten sie etwas bestimmtes? Wenn ja, was? Hier lagerten wahrlich keine großen Schätze, hier war die Rumpelkammer ihres Hauses.

Es tat sich was hinter der Barrikade der Angreifer. Vorsichtig lugte Mortica hinter dem Tisch hervor. Einer stand auf. Ein junger Mann, etwa Ende 30, groß, blond, tätowiert. Er hielt einen Stab in der Hand, ein langes, dunkles Stück Holz, dessen Ende ein Drachenkopf nach Art der Haldinger ziert. “Ich bin Ulver Heinson. Ich bin Zauberer. Ich komme als Oleport.” Oleport? Verdammt, warum hatte sie in Derografie nie aufgepasst. Wo in Haldingart lag nochmal Oleport? Der Fremde schien ihre Unwissenheit bemerkt haben. “Oleport liegt im Osten hinter dem Talassion.” Jetzt explodierten Morticas Synapsen fast. Hinter dem Talasseon! Das bedeutete, das sie Nachfahren jener Haldinger waren, die ….. vor den Truppen des Imperiums nach Osten flohen, hinters Meer! Oder nachfahren der Hexaeder, wobei sie letzteres für eher unwahrscheinlich hielt, dann würde die Unterhaltung wohl eher auf Alt-Imperal geführt werden. Aber… Wie konnten sie den Efferdwall überwinden? Wie liebten die Haldinger jenseits des Meeres? Und vor allem… was wollen die hier?

“Wir suchen die Bücher von die Rune. Hast Du der Bücher?” “Welche Bücher? Welche Runen?” Ein weiterer Angreifer stand auf. Ein blonder Hüne, wie alle Haldinger, bestimmt ebenfalls tätowiert. Vornehme Kleidung, arkane Muster auf einem Mantel. Langsam und mit erhobenen Händen kam er auf Morticias Barikade zu. Erdrückte ihr einen Beutel in die Hand. Neugierig öffnete die Optimatin den Beutel und fingerte ein paar Knöchelchen hervor, auf dem alte, haldingische Runen graviert waren. Danach suchten sie also? Runen? Bücher über Runen? Warum? Ein Geschichtsbuch, ein Horasreich für ein… Das große Kompendium Linga et Schrift… das müsste doch…

Verblüfft beobachtete Haggar, wie die junge Dame, der er gerade die Runen in die Hand gedrückt hatte, wie in Trance zu den Bücherregalen ging, mit ihren zierlichen, knochigen Fingern über Buchdeckel strich und einen alten Wälzer hervorholte. Sie blätterte, las, ohne auf Haggar und die anderen thorwaler Magier oder auf den Lärm der Mannschaft, die das Schlösschen plünderten, zu achten. Die feindliche Kriegerin zielte immer noch auf Haggar, während das Katzenwesen hinter dem Tisch in Deckung blieb. Plötzlich lachte die Magierin laut auf.

“Sie haben die Runen verloren!” “Herrin?” Die Prokuratin verstand nicht, worauf ihre Herrin hinaus wollte. “Das sind Optimaten von jenseits des Thalassions. Die haben ihre Schrift verloren! Die können die Runenschrift nicht mehr lesen, die alte Runenschrift der Haldinger! Die alte magische Schrift, mit der sie ihre Zauberboote, ihre Wunderschwerter, ihre Segel schmückten!” “Herrin, ist die Schrift nicht auch bei den Haldingjern hier verloren?” fragte die Prokuratin, die die Baela immer noch auf den Hünen.

Morticia lachte. Sie lachte vor Erleichterung, vor Glück. Sie lachte, weil hier eine Chance auf sie wartete. Wenn es ihr mit Hilfe gelang, die Runenschrift wiederentdecken… dann konnte sie diese vermaledeite Domäne verlassen, weg von unbedeutenden Einkaufslisten. Zurück in die Stadt, zurück nach Trivina, zu Thermen, Bibliotheken, Laboren. Zurück zum echten Leben! Zurück zu einem neuen Rang. Spektabilität, ich komme! Schnell steckte sie das Buch ein und blickte Ulver in die Augen. “Gehen wir” sagte sie nur kurz.

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