Karneval der Rollenspielblogs: Seuchen und Krankheiten – Rimtheym: Die Stadt der tausend kranken Lungen

Wer huast, der lebt no! (Wer hustet, lebt noch! Niederbayrische Lebensweisheit)

Grüße aus dem Maschinenraum. Während Torrus noch an der Spielhilfe zum Tal der Klangen feilt, hat Arntan alias Tobias Reinmann mal nen 105 Seiten dicken Klopper zur Mammutsteppe geschrieben, D I E  barbarische Region überhaupt. Da oben gibt es auch eine Stadt. Rimtheym, die auch Stadt der tausend kranken Lungen genannt wird. Die Stadt möchten Tobias und ich euch heute kurz Vorstellen, wärend ich dann im Maschinenraum verschwinde (Lekorat der 105 Seiten für die MM, Projekt X, Heimklausur, Erstellen einer Schulaufgabe für meine Postler, krankes Mädel Nr. 2 versogen, Vortbildung am Do. … mir wird nicht langweilig dieser Tage)


Rimtheym, die Aschestadt

von Tobias Reinmann

In den endlosen Weiten zwischen den Nebelseen und dem Ewigen Eis, genauer gesagt in den wasserreichen Auen des Remell-Stromes, wo die weite Mammutsteppe des Ostens auf die ersten Ausläufer der weiter westlich gelegenen Taiga trifft, liegt die Stadt Rimtheym, der letzte Außenposten dessen, was sich als „Zivilisation“ versteht, vor dem Ewigen Eis. Erstaunliche 7.000 Einwohner leben hier an einem Ort versammelt, ein Echo aus ferner Vergangenheit, das von einer Zeit kündet, als das Riesland die technologische, magische und kulturelle Speerspitze der derischen Kontinente bildete und seine Völker damit ihren Niedergang heraufbeschworen, weil ihre Ethik auf dem Weg nach oben auf der Strecke geblieben war. Unter eiszeitlichen Bedingungen ist es nicht ungewöhnlich, dass es nur wenige tausend Einwohner gibt – verteilt auf einen ganzen Kontinent. Dass hier ein Mehrfaches davon in einer einzigen Stadt versammelt ist, kündet davon, dass das Riesland andere Zeiten gekannt hat. Rimtheym wurde zu Zeiten des zweiten Marhynianischen Imperiums gegründet und hat dessen Niedergang erstaunlich unbeschadet überstanden.

Bei der Siedlung handelt es sich um eine Ansammlung aus Blockhäusern, primitiven Steingebäuden und Torfhütten. Der Kernbereich – nicht also die Vorstadt – ist von einem massiven Palisadenzaun umgeben, gefertigt aus mächtigen Baumstämmen, die vor Urzeiten dem borealen Nadelwald abgetrotzt worden sind und seither Wind und Wetter standhalten.

Meist halten sich sogar deutlich mehr Kulturschaffende in der Stadt und ihrem Umland auf. Rimtheym ist eine der wenigen sicheren Zufluchten im kalten Norden – der Begriff „Sicherheit“ ist dabei relativ – und damit die wichtigste Anlaufstelle für alle Nordlandreisenden. Hier können sie ihre Ausrüstung ergänzen, Reparaturen vornehmen, ihre Vorräte auffüllen, Handel treiben oder in begrenztem Maße Dienstleistungen in Anspruch nehmen – so wie die eines Baders oder Heilers. Jede Jagdexpedition, jede Mammutkarawane, jede Kriegerrotte macht auf ihren Reisen durch den Norden Rakshazars in dieser Gegend halt.

Rimtheym ist ganzjährig eisfrei, und die Böden im weiten Umland sind für die Verhältnisse, die in Mammutsteppe und Taiga ansonsten herrschen, überaus fruchtbar. Eine Tatsache, die vulkanischen Aktivitäten im Untergrund geschuldet ist, welche das Erdreich erwärmen. Diese führen auch zu einer hohen Konzentration von Geysiren und Thermalquellen in der Region.

Die Bewohner Rimtheyms zahlen für diese beachtlichen Standortvorteile einen hohen Preis. Durch zahlreiche Austrittsschlote entweichen toxische Dämpfe ins Freie und vergiften die Luft. Fast ganzjährige liegt eine bleigraue Wolkendecke wie eine Glocke über der Stadt. Nur alle Jubeljahre einmal ist der Himmel zu sehen. Sanskitarische Besucher haben Rimtheym schon vor Jahrhunderten die „Stadt der tausend kranken Lungen“ getauft, und das ist nur wenig übertrieben.

Da die Temperaturen dauerhaft über dem Gefrierpunkt liegen, schlägt an Pflanzen und anderen festen Oberflächen Nebel nieder, der in großen Schwaden vom Fluss her kommend über das Land brandet. Die Nebelschwaden halten sich oft bis spät in den Tag hinein und wollen mancherorts überhaupt nicht weichen. Es regnet oft und viel, und im Frühling und Herbst gehen nur allzu oft Graupelschauer und Hagelstürme auf die Stadt nieder.

 

Die Vorstadt

Im Umkreis von einer Tagesreise um den Stadtkern liegen eine Reihe kleinere Siedlungen und Ortschaften verstreut, die oftmals aus nicht mehr als einem Dutzend einfacher Lehmhütten, Zeltbauten und Holzhäusern bestehen. Meist rotten sich die Angehörigen einer bestimmten Spezies, eines Volkes oder einer religiösen Sekte hier zusammen. Viele dieser kleinen Gemeinschaften leben in Frieden, doch unter einigen herrschen Vendettas und Fehden, deren Ursprünge teilweise Jahrhundertweit zurückreichen. Daneben lassen sich immer wieder durchreisende Gruppen mit ihren Viehherden oder Handelswaren zeitweilig im Umland der eigentlichen Stadt nieder.

Wer sich keiner dieser Gemeinschaften anschließen will, kann sich als Eremit ansiedeln, solange er für seinen Unterhalt selbst aufkommt und sich verteidigen kann. Im Umland von Rimtheym gilt das Recht des Stärkeren. Wer nicht den Rückhalt einer starken Sippe genießt, muss sich das Schutzgeld eines mächtigen Clans leisten können, und bei wem auch dies nicht der Fall ist, der muss sich selbst gegen Plünderungen und Repressalien schützen.

An den Geysiren und zahllosen heißen Quellen, die über das Umland verteilt liegen, leben einzelne Schrate – Trolle, Yetis und Brokthar – sowie einige kleine Sippen der Nedermannen, die in der Stadt nicht gern gesehen sind. In den seltenen Höhlen und Kavernen verbergen sich gelegentlich Räuberbanden, Geächtete oder Hexenmeister. Die Stadtbevölkerung selbst ist ein Konglomerat aus Angehörigen fast aller Völker der Mammutsteppe, bevorzugt Slachkaren, Steppen-Orks oder Möchtegern-Orks sowie einigen Nedermannen und Brokthar.

 

Das Zentrum der Stadt und der Koloss von Rimtheym

Zur eigentlichen Stadt hin steigt das Gelände stetig an. Rimtheym steht auf sieben Hügeln, die sich mehr als zweihundert Schritt hoch über das Umland erheben. Hinter dem Palisadenzaun finden sich weiterhin Blockhäuser, primitive Steingebäude und Torfhütten, aber sie stehen viel gedrängter als in der Vorstadt. Siedlungsraum ist knapp und wertvoll, und wer sich anmaßt, zu viel davon in Anspruch zu nehmen, kann sich des Zorns der anderen Stadtbewohner sicher sein – und ihrer Vergeltung. Dazwischen finden sich die Unterkünfte der Besucher, die in den notorisch knappen hiesigen Gästequartieren keinen Platz gefunden haben oder sich den Mietzins nicht leisten konnten. Meist handelt es sich nur um einen Schlafplatz mit einer Decke aus Tierfell, aber auch wildes Campen ist an der Tagesordnung. Zuweilen verstopfen die Zelte größerer Reisegruppen ganze Straßenzüge. Die Straßen sind voller Tiere – zu den Haus- und Nutztieren der Einwohner gesellen sich jene der Reisenden. Die meisten von ihnen sind angepflockt und mit Seilen gebunden, doch kommt es immer wieder vor, dass dies versäumt wird, sodass die Tiere umherstreifen, neugierig die Kulturschaffen beschnüffeln, sich untereinander bekämpfen oder gar aggressiv auf Bewohner oder Besucher der Stadt reagieren – oder schlicht die Habseligkeiten eines Reisenden durchwühlen auf der Suche nach einem Leckerbissen.

Rimtheym hat keine Kanalisation, zu den Fäkalien der Tiere gesellen sich jene der kulturschaffenden Bewohner, und selbst verendete Tiere und ihre verrottenden Kadaver werden oft achtlos liegengelassen. Die Suche nach einem sauberen Schlafplatz ist möglicherweise eine der größten Herausforderungen, oder es sind langwierige Reinigungsarbeiten vonnöten, wenn man auf einen weniger optimalen Standort verwiesen ist. Nicht ganz von ungefähr gehört Stroh zu den gutgehenden Handelswaren. Wird es als Zeltboden oder Unterboden für die Schlafstatt verwendet, muss man wenigstens nicht direkt auf dem notorisch fäkaliengetränkten Boden nächtigen. Zu dem Gestank der Tiere, der sich oft ebenfalls nicht in hygienisch einwandfreiem Zustand befindlichen Bewohner und Besucher und ihrer jeweiligen Hinterlassenschaften gesellt sich der Geruch der Vulkandämpfe, der zuweilen alles andere überlagert. Hustengeräusche bilden eine permanente Hintergrunduntermalung, die niemals verstummt. Zeitgenossen mit allzu empfindlichen Nasen können sich des Spotts der anderen Kulturschaffenden sicher sein.

Im Zentrum von Rimtheym erhebt sich die gigantische, aus Schattenstein bestehende Statue eines schratenhaften Kriegers in den bleigrauen Himmel. Inzwischen ist der Koloss schief, verwittert und bis zu den Knien in die Erde eingesunken. Trotzdem ragt er noch fast sechzig Schritt in die Höhe – ursprünglich waren es wahrscheinlich um die achtzig. Das einst zerklüftete Gesicht ist vom ewigen Wind glattgeschliffen, der Mund scheint wie zu einem stillen, ewigen Schrei geöffnet. Gemeinsam bilden sie eine Grimasse nicht enden wollenden Hasses. Die leeren Augen blicken starr gen Westen. Würde man ihm folgen, käme man, so wie die Nebelkrähe fliegt, direkt zum Götterwall. Der Steingigant hält in seinen hoch über den Kopf gestreckten Händen eine riesige Feuerschale. Warum die Statue hier in der Einöde errichtet wurde und wozu sie einstmals diente, bleibt ein Mysterium.

Die Sage vom Giganten Phekor und seinem Steingiganten wird in der Mammutsteppe nur selten erzählt, daher wird der mögliche Zusammenhang zwischen ihr und der Existenz des Kolosses nicht gesehen. Obwohl er aus Schattenstein besteht, bleiben gewisse Restzweifel, ob es sich bei dem Koloss tatsächlich um einen der Schwarzen Steinriesen handelt, der in den Gigantenkriegen besiegt worden ist. Sein schratenhaftes Äußeres wirft Fragen auf.

Es kursieren allerlei Erzählungen, Geschichten, Legenden und wilde Gerüchte, die mehr oder minder erfolgreich nach einer Erklärung suchen. Vor allem unter den Slachkaren und Brokthar ist die Annahme verbreitet, dass es sich um ein Abbild von Ingror dem Sternschleuderer handelt. Die Nedermannen sehen in der Statue den in Stein verwandelten Urvater aller Riesen. Die Orks indes haben erkannt, dass die Statue keinen Riesen, sondern einen Schrat zeigt, und glauben, dass sie von Trollen oder Yetis als Signalturm errichtet worden ist, womöglich als Teil einer Kette von Anlagen ähnlicher Bauart. Manche der Legenden haben religiösen Charakter und rücken den Koloss ins Zentrum kultischer Verehrung. Unzweifelhaft zieht die Statue Besucher aus aller Herren Länder an. Selbst Donari, Agrim und Vulkanschrate sind bereits in Rimtheym erschienen, um sie zu sehen, üblicherweise sind es aber eher Menschen, Brokthar oder Orks, seltener Yetis, die ihretwegen die Stadt aufsuchen. Gar nicht so selten indes entbrennt Streit zwischen Besuchern, die ein Stück des Giganten als Souvenir oder Talisman herausbrechen, und solchen, die seine Beschädigung für einen unverzeihlichen Frevel halten.

Zu jeder Sommer- und Wintersonnenwende erklettern wagemutige Stadtbewohner die Statue und ziehen Brennmaterial hinauf, um in der Schale einen Scheiterhaufen aufzutürmen, der die ganze Nacht hindurch lichterloh brennt. Dabei nutzen sie einige wacklige Planken, klapprige Holzgerüste und schwankende Strickleitern, die auf wenig vertrauenerweckende Art und Weise am Nacken und an den Armen des Riesen befestigt sind. Wer das Feuer entzünden darf, wird im Rahmen eines Wettstreits entschieden, bei dem die Teilnehmer den Koloss schnellstmöglich mit einer Fackel zu erklimmen versuchen. Jegliche Einmischung von außen ist untersagt und wird, wenn sie ruchbar wird, rasch und konsequent geahndet – in der Regel wird der Frevler für drei Tage und Nächte an den Pranger gestellt. Weitere Regeln gibt es nicht. Neben dem Ruhm darf sich der Sieger bis zur nächsten Sonnenwende als „König von Rimtheym“ bezeichnen. Echte Herrschaftsgewalt ist mit dem Titel nicht verbunden, der Amtsinhaber darf jedoch die königlichen Insignien präsentieren und sich auf reichlich Freibier freuen.

Aus den Pilgerströmen hat sich im Laufe der Zeit ein dauerhafter Markt für alle Bewohner und Durchreisenden zu Füßen der Statue entwickelt. Hier wird alles feilgeboten, was das Riesland an Waren zu bieten hat, von Gewürzen aus dem Süden über exotische Metalle aus dem Westen bis zu gefrorenen Monstrositäten aus dem Ewigen Eis. Der Handel mit Sklaven allerdings ist strengstens untersagt. Wer es dennoch versucht, muss damit rechnen, umgehend und dauerhaft der Stadt verwiesen zu werden, sofern man nicht einfach kurzen Prozess mit ihm macht. Der Besitz von Sklaven wird dagegen in aller Regel nicht angezweifelt. Der eitle Sklavenherr, der mit großem Gefolge reist, der Kopfgeldjäger mit seinen Gefangenen, ja, selbst der brutale Ehemann, der seine Frau mit Schlägen und Drohungen in Richtung ihrer Kinder gefügig macht, bleibt solange unbehelligt, bis der Unfreie sein Recht einfordert, für seine Freiheit zu kämpfen. Ein Recht, das in Rimtheym keinem Sklaven jemals verwehrt worden ist, weshalb es für den Eigentümer stets ein Risiko darstellt, seine Gefolgschaft hierherzubringen, die sich durch die ehernen Regeln der Stadt geradezu zur Rebellion aufgefordert sieht.

Etwas anders gestaltet sich die Sach- und Rechtslage, wenn jemand das Tal als Unfreier betritt, nachdem es ihm gelungen ist, seinen Fesseln zu entfliehen. Erscheint sein Eigentümer und fordert seine Herausgabe, räumen die Stadtbewohner dem Unfreien nicht nur das Recht ein, gegen den eigenen Besitzer zu kämpfen und entweder seine Freiheit zu erstreiten oder von ihm getötet bzw. erneut unterworfen zu werden, sondern verpflichten ihn geradezu zu diesem Wettstreit. Wer ihn verweigert, ganz gleich, ob er Sklavenhalter ist oder Sklave, gilt als unwürdig und hört für die Rimtheymer schlicht auf zu existieren. Dies bedeutet aber nicht, dass sie den Eigentümer eines für nicht existent erklärten Unfreien aktiv darin unterstützen würden, den Entflohenen wieder einzufangen.

Die Möglichkeit, durch erfolgreichen Kampf die eigenen Ketten abzustreifen und sogar Vergeltung für erlittene Unbill zu üben, macht Rimthyem zur ersten Anlaufstelle für entflohene Sklaven der Nordländer und hat ihr den Beinamen „Stadt der Freiheit“ eingebracht.

Neben den Marktständen und -zelten sorgen zahlreiche Gasthäuser, Schenken, Bordelle und Spielhäuser für allerlei Kurzweil am Immerwährenden Markt. Rund um die Uhr kann man sich hier Vergnügungen aller Art hingeben. Berühmt-berüchtigt ist die „Immerneue Schenke“, die ihren Namen vollkommen zurecht trägt. Fast täglich kommt es hier zu Schlägereien, bei denen die Einrichtung der Zerstörungswut der Gäste zum Opfer fällt und neu zusammengezimmert werden muss. Gründer und derzeitiger Besitzer des Etablissements ist der Ork Bratzgorg, dem es gelungen ist, dem Vandalismus zum Trotz satte Gewinne einzufahren – oder gerade seinetwegen. Die Taverne hat inzwischen einen legendären Ruf, der weit über Rimtheyms Grenzen hinausreicht. Wer hierher kommt, will meist auch an einer der berühmten Schlägereien teilnehmen, kehrt in der Immerneuen Schenke ein und lässt klingende Münzen oder Elfenbein dort. In Relation zu den durch die Schäden verursachten Kosten bleibt dem Eigentümer am Ende stets ein satter Gewinn.

Davon abgesehen verläuft das Leben in der Stadt überraschend friedfertig, obwohl hier die unterschiedlichsten Völker, Kulturen und sozialen Verhältnisse aufeinanderprallen. Wirkliches Blutvergießen ist eher selten und bleibt noch seltener unbeobachtet oder ungesühnt. Wem es gelingt, sich dem Trubel zu entziehen, den die Besucher in die Stadt bringen, führt meist ein gemütliches und genügsames Leben, und auch ein fauleres, wie manche eher offen als versteckte geäußerte Lästerei besagt. Das Dasein in der Einöde erfordert keine Hektik, die bleibt jenen vorbehalten, die es rasch wieder in die Ferne zieht. Rimtheym-Legit ist eine eigene Kultur, deren Hauptmerkmal die Abwesenheit von Kultur zu sein scheint. Man erledigt nur das, was absolut unabdingbar ist, ohne dabei besondere Kunstfertigkeit oder gar übermäßigen Fleiß an den Tag zu legen. Viel lieber widmet man sich dem Ausleben persönlicher Leidenschaften, dem Müßiggang, der Gewalt, dem Suff und der Hurerei. Die Herumlungernden verbringen den Großteil ihres Tages in den verdreckten, mit Dung und verrottenden Tierkadavern gespickten Straßen, die das perfekte Spiegelbild des Lebensgefühls der Stadt widerspiegeln. Nicht wenige der Stadtbewohner sind ausgeprägte Egoisten, denen schlichtweg alles egal ist, was ihnen nicht kurzfristig einen persönlichen Vorteil verspricht, ihren Geltungstrieb befriedigt oder einem verhassten Feind schadet. Für sie ist das Recht des Stärkeren zu ihrer obersten Maxime geworden. In den Straßen genügt oft schon ein falsches Wort oder ein schlechtgelaunter Gesprächspartner, um das Faustrecht zur Anwendung zu bringen, das auch nicht vor Frauen, Kindern, Alten und Gebrechlichen Halt macht. Der durchschnittliche Rimtheymer führt ein einfaches, meist von Morallosigkeit geprägtes Leben, gewürzt mit barbarischen Sitten, stets aggressivem Unterton und phlegmatischer Gleichgültigkeit.

Entsprechend beliebt ist der „Pfuhl“, ein überdachtes und höchst entspannendes Schlammbad, dem vollkommen zurecht heilende Kräfte zugeschrieben werden. (Anmerkung: Das Bad erhöht nach vierstündigem Aufenthalt einmal pro Tag die Regeneration von Lebensenergie um zwei Punkte.) Hierher geht der Einheimische, um sich von seinem Tagwerk zu erholen. Hier pflegen wandernde Krieger ihre Wunden. Hier trifft man sich nach einer zünftigen Schlägerei mit den vorherigen Konkurrenten auf ein lauwarmes Bier, um gemeinsam mit ihnen im warmen, wohltuenden Morast zu entspannen.

Wenig unblutig ergeht es den Nutztieren, die zu den „Geweihten Hallen“ geführt werden, einer wichtigen Einrichtung des Immerwährenden Marktes. An den Außenwänden dieses zentralen Schlachthofes der Stadt sind die Gebeine unzähliger Kreaturen aufgetürmt. Dadurch wirkt der Gebäudekomplex wie ein grotesk zusammengekauertes, knöchernes Ungetüm. Der Schlachthof ist den „Gehörnten Göttern“ Korthros, RashRagh und Taugrach gewidmet, deren Priester hier täglich Dutzende Kreaturen ausweiden, bis sie knöcheltief in warmem Blut waten.

Mit dieser obskuren Form organisierter Religionsausübung, die eher traditionell eingestellten Rimtheymern die Chance bietet, sich an den orkischen und slachkarischen Göttern zu orientieren, endet die Organisiertheit dann auch schon wieder. Das Weltbild der meisten Rimtheymer ist launenhaft und unstet. Sie neigen dazu, die von ihnen verehrten Entitäten zu wechseln, manchmal mehrfach pro Woche. Aberglaube und Götzentum, Sekten und offensichtlichen Spinnern, Predigern und selbsternannten Propheten, Verschwörungstheoretikern und Weltuntergangsverkündern stehen Tür und Tor offen. Eine verwirrte Philosophie, die es in Rimtheym nicht gibt, so sagt man, findet man höchsten noch in den verwinkelten Gassen und auf den überfüllten Basaren einer Sanskitarenstadt.

Zu den Attraktionen der Stadt zählt die „Schlachtengrube von Rimtheym“, eine in den Boden eingelassene, kraterförmige Arena, die mit einem stabilen Holzgerüst überbaut ist, auf das die Zuschauer klettern, um die Kämpfer anzufeuern. Über der Grube, mehrere Schritt oberhalb der Gerüstkonstruktion, wölbt sich ein kuppelförmiges Gitter aus Holz, das die Grube vor widrigen Witterungseinflüssen abschirmt, besonders vor den giftigen Vulkandämpfen und den allgegenwärtigen Nebelschwaden. Schließlich sollen die Kontrahenten durch andere Kämpfer besiegt werden und nicht durch widrige Witterungsverhältnisse. Der Arena wird deshalb auch scherzhaft die „Donnerkuppel“ genannt. Weitläufige Bauten um die Kuppel herum beherbergen Tierzwinger, Aufenthaltsräume für die Gladiatoren sowie Vorrats- und Waffenkammern.

Fast täglich treffen hier Gladiatoren aufein­ander oder kämpfen gegen wilde Bestien. Anders als so viele andere Rimtheymer leisten die Gladiatoren ausgezeichnete Arbeit. Fast jeder von ihnen ist ein überdurchschnittlich gut ausgebildeter Kämpfer, der ein Raubtier von der mehrfachen Körpergröße seiner selbst ebenso fachmännisch zu erlegen weiß, wie er sich einen gekonnten Schaukampf gegen seinesgleichen liefert, der bis zum ersten Blut ausgetragen wird. Die Kämpfer stehen im Dienst der Machthaber der Stadt, die viel Geld in sie investieren, jedoch ein Vielfaches davon an Einnahmen zurückbekommen. Der Dienstherr des Siegers erhält eine Prämie und wird außerdem an den Wetteinnahmen beteiligt. Die Wetten spülen fast ebenso viel Reichtum in die Stadt wie der Handel. Die Gladiatoren zählen zu den angesehensten Einwohnern der Stadt und werden fast überall bevorzugt behandelt. Im Pfuhl, wo sie ihre Verletzungen auskurieren und Kraft sammeln für den nächsten Kampf, sind durchgängig mehrere von ihnen anzutreffen.

Übermütige Fremde können auch selbst in den Ring steigen und so rasch sehr reich werden – oder auch sehr tot. Der Kampf zwischen einem Gladiator und einem nichteinheimischen Herausforderer endet nicht beim ersten Blut, gekämpft wird bis zum Tod. Dies findet seine Begründung darin, dass so gut wie immer der Gladiator gewinnt und so die Besitztümer des Verlierers eingezogen werden können. Auch Strafgefangene, die von einem der Machthaber verurteilt worden sind, müssen zuweilen in der Arena um ihr Leben kämpfen, oft verbunden mit der Option, nach einer bestimmten Zahl gewonnener Kämpfe die Freiheit wiederzuerlangen, damit sie motiviert sind und für die Zuschauer einen guten Kampf abliefern. Dass die wenigsten von ihnen es schaffen, so lange zu überleben, steht auf einem anderen Blatt Papier. Einer, dem es gelang, war der Ronthar-Brokthar Hanor, genannt der Schlächter von Rimtheym, der einst gegen die Bestie Babrak kämpfte. Seine Geschichte wird bisweilen heute noch erzählt (siehe dazu Buch der Helden, S. 339 bis 342).

Endet die Karriere eines Berufsgladiators – die meisten von ihnen sind für sieben Jahre dienstverpflichtet -, hat er die Möglichkeit, zu den Rimtheymer Söldnern zu wechseln, die nur verdiente Kämpfer in ihre Reihen aufnehmen. Die Machthaber der Stadt sind überaus interessiert daran, den Ruf der Stadt als Anlaufstelle für überdurchschnittlich qualifizierte Kundige des Kriegshandwerks zu mehren, damit auch weiterhin die Besten der Besten hierher kommen, um in ihre Dienste zu treten. Das Auswahlverfahren ist hart und gefährlich, ein Versager in den eigenen Reihen, der den Ruf der Söldner aufs Spiel setzt, ist für die Dienstherren unverzeihlich. Ein unfähiger Bewerber, der sein Leben lässt und seinen Mangel an Fachkompetenz auf diese Weise rechtzeitig offenbart, ist indes nur ein unvermeidbarer Kollateralschaden.

 

Das Handwerker-Viertel

Rund um den Immerwährenden Markt legt sich ein Ring von überdurchschnittlich festen und stabilen Häusern, die auch durch ihre Bauart herausstechen, welche angeblich einst von Orksiedlern aus dem fernen Osten mitgebracht worden sein soll. Sie werden durch seltsam geschwungene Giebel aus Riet geziert. Hier haben die Handwerker der Stadt ihre Werk- und Wohnstätten eingerichtet, wobei sich die Vertreter der verschiedenen Professionen jeweils in kleinen eigenen Vierteln zusammengefunden haben. Die Angehörigen der verschworenen Gemeinschaften unterstützen einander und schützen ihre Berufsgeheimnisse erbittert gegen Außenstehende. Dieser enge Zusammenhalt führt dazu, dass die Handwerker die gegenseitige Konkurrenz auf möglichst niedrigem Niveau zu halten. Es gibt kein aggressives Marktgeschrei, keinen Versuch, dem Nachbarn Kunden abspenstig zu machen. Auch wird versucht, die Waren auf einem einheitlich hohen Qualitätsniveau zu halten und nicht besonders gegenüber den anderen Meistern herauszustechen. Dies gilt bei Auftragsarbeiten auch für die Fertigungszeit. Preisabsprachen zwischen den Handwerkern eines Gewerbes sind hingegen eine Selbstverständlichkeit.

Die Handwerker sind somit die zweite bedeutende Gruppe von Städtern, die nicht dem verruchten Lebenswandel des typischen Rimtheymer Tagediebes frönt. Vor allem das Gerbergewerbe, die Sattler, Fellschneider und Schmiede gelten als fähig und erfolgreich und tragen maßgeblich zum Gelingen der wirtschaftlichen Unternehmungen der Stadt bei. Im Vergleich zu dem lärmenden Handelszentrum und den gesetzlosen Vororten geht es in den Vierteln der Schmiede, Töpfer, Tuchmacher, Zimmerleute oder Gerber ruhig und beschaulich zu. Hier zeigt sich die Siedlung in genau der Beschaulichkeit, die ihr eigentlich zu eigen ist, wenn nicht die fremden Reisenden das Stadtbild dominieren.

Zwischen den Gassen und Handwerkerviertel steht ein hohes, langgezogenes Steinhaus, das einmal im Monat als Versammlungsort für die „Große Zusammenkunft“ genutzt wird. Dabei treffen sich Abgesandte der verschiedenen Machthaber der Stadt, um gemeinsam die Geschicke der Stadt zu lenken. Hierzu gehören je ein Meister jedes der unterschiedlichen Handwerke, Prokuristen der Händlerschaft, Vertreter der bedeutenden Sippen und Clans, einige Gladiatoren und Söldner, Priester, aber auch Angehörige bedeutender Kriegshaufen, Stellvertreter einflussreicher Kriegsherren, ja selbst reiche Bordellbetreiber und der Meister der Arena.

Grundsätzlich darf jeder Bewohner sein Anliegen vorbringen. Zu konkreten, von der Mehrheit getragenen Beschlüssen kommt es jedoch nur selten. Die üblicherweise untereinander durch ein unüberschaubares Netz sorgsam gepflegter Feindschaften verbundenen „Stadtvertreter“ verschaffen ihrer Position durch Geschrei, Drohungen oder gar handfesten Prügeleien Gehör, bis die Versammlung ergebnislos abgebrochen wird. Lediglich bei ernsthaften Bedrohungen, die von außen kommen, zeigen die Machthaber von Rimtheym Geschlossenheit, dann jedoch konsequent und ungewöhnlich schnell.

Der gemeine Rimtheymer ist daran gewöhnt, keine Unterstützung für seine Belange zu finden und diese selbst durchsetzen zu müssen. Außerhalb der bestehenden Organisationen ist es nahezu unmöglich, die Stadtbewohner dazu zu motivieren, sich zu Interessengruppen zusammenzuschließen. Man lebt allein und traut nur sich selbst und den eigenen Fähigkeiten. Und manchmal nicht mal denen.

Der Umgang mit Verbrechen wirkt auf Außenstehende daher oft unverständlich und inkonsequent. Weil in Rimtheym das Recht des Stärkeren gilt, hat so ziemlich jeder Machthaber eigene Sicherheitskräfte in seinen Diensten, welche die Einhaltung der Regeln der Gemeinschaft durchsetzen. Allerdings hat jeder Machthaber andere Vorstellungen davon, welche Regeln das sind. Bisweilen kommt es sogar vor, dass man ein Verbrechen begeht, egal was man tut, weil die Statuten der einen Fraktion genau das zwingend erfordern, was der anderen als unverzeihlicher Frevel gilt.

Gewalttaten sind fast bei allen Machthabern verpönt, jedoch gibt es recht unterschiedliche Auffassungen darüber, ab wann eine solche vorliegt. Nach einhelliger Meinung zählt eine zünftige Prügelei zum Kanon zulässiger Meinungsäußerungen, selbst wenn ein Kontrahent mit gebrochenen Rippen und einer ramponierten Nase daraus hervorgeht. Auch bewaffnete Verkaufsverhandlungen, das Züchtigen widerspenstiger Familienmitglieder oder das eigenmächtige Bestrafen eines Frevlers werden von den wenigsten Rimtheymern als Gewaltakte wahrgenommen. Besonders hart trifft es die die allerorts in der Stadt verhassten Nedermannen, von denen ein nicht unbedeutender Prozentsatz wie Ungeziefer in den Gossen Rimtheyms vegetiert und die meist gar keinen Fürsprecher finden. Hier erntet ein Täter womöglich eher Jubel als Strafe und kann sich abends in der Taverne seiner Untat rühmen.

Der Rimtheymer selbst indes kennt die Hackordnung der Stadt ganz genau und erfährt auch rasch davon, wenn sie sich ändert. Man weiß sehr präzise, welchem Kriegsherren man Tribut schuldet, wem man mit Unterwürfigkeit begegnen muss und wen man selbst unterdrücken kann. Während die Kriegsherren und Kriegshaufen ihre Territorien eher in der Vorstadt abgesteckt haben, gehört die Straße den Banden, denen das Rekrutieren neuer Mitglieder unter den eigenbrötlerischen Stadtbewohnern ebenso schwer fällt wie allen anderen innerstädtischen Organisationen, weshalb sie gern versuchen, Fremde zum Bleiben zu überreden. Die Banden haben ihre Territorien genauestens abgesteckt. Normalerweise bleibt es bei Grenzverletzungen bei Drohgebärden und der einen oder anderen Maulschelle, manchmal kommt es jedoch auch zu blutigen Bandenkriegen, vor allem, wenn bei einem Bandenmitglied Axt oder Messer allzu locker sitzen.

Wer Rimtheym besucht und mit magischen Fertigkeiten gesegnet oder bestraft ist, sollte sich hüten, diesen Umstand kundzutun oder gar seine Fähigkeiten einzusetzen. Marhynas Geschenk ist ein beliebtes Feindbild, das nahezu den gesamten Pöbel eint. Immerhin wird die Region von den Kokodjos heimgesucht, hirschgestaltigen Werkreaturen, deren Erschaffung der einstigen Göttin der Kraft zugeschrieben wird, was ihren Ruf noch mehr beschädigt, als dies im Riesland ohnehin fast überall der Fall ist. Dass man schlechte Erfahrung mit Fremden gemacht hat, die beim Zauberwirken die Kritische Essenz überschritten und ganze Stadtviertel in die Luft gejagt haben, tut gewiss sein Übriges. Ausländische Zauberkundige sind besonders schlecht gelitten.

 

Rimtheym im Spiel

Rimtheym ist der letzten Außenposten der „Zivilisation“ vor der endlosen Eiswüste des Hohen Nordens. Bei einer Expedition ins Ewige Eis, aber auch bei Reisen von der Tundra in die Taiga und umgekehrt ist ein Besuch in der Stadt fast unumgänglich, um Ausrüstung zu beschaffen, Vorräte aufzufrischen und Erkundigen einzuholen. Die Stadt ist ein Schmelztiegel der Völker und Kulturen, selbst solcher, die in der Mammutsteppe gar nicht heimisch sind. So wird Rimtheym zum Umschlagplatz für Waren aus aller Herren Länder, solche, die andernorts erlaubt ist, solche die andernorts verboten ist, vor allem aber für Jagdbeute wie Fleisch oder Pelze, die gegen dringend benötigte Güter eingetauscht werden soll, die man selbst nicht herstellen kann. Der Immerwährende Markt, das freie Leben, selbst der teils illusorische Ruch von Gesetzlosigkeit locken Angehörige aller Spezies und Kulturen und die Vertreter ganz unterschiedlicher Religionen in die Stadt. Die kulturellen Unterschiede treten in aller Offenheit zutage, vor allem in der Vorstadt, wo Überwindung einer Distanz von wenigen Meilen oft dazu ausreicht, in eine völlig andere Welt einzutauchen.

2 Gedanken zu „Karneval der Rollenspielblogs: Seuchen und Krankheiten – Rimtheym: Die Stadt der tausend kranken Lungen

  1. yennico

    Bei dem Titel: „Stadt der tausend kranken Lungen“ dachte ich erst an einen Kurort (Heilbad) mit vielen Gradierwerken und Salzbergwerk, in dem viele Lungenkranke versuchen ihre Krankheit zu kurieren.

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  2. Pingback: Dnalor im Karneval der Rollenspielblogs: Rimtheym – Nuntiovolo.de

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