Rezension: Von ruhigen Jahren – Über ein Erzählrollenspiel und dessen Hack 

Ich bin bei dieser Geschichte zuerst über den Hack gestolpert. Der Hack, Ein ruhiges Jahr im Hambacher Forst, stammte aus der Feder von Gerrit Reininghaus, einem deutschen Rollenspieldesigner, der auf seiner Webseite viele interessante Erzählrollenspiele anbietet, unter anderem das echt tolle Rennspiel Tuck Fast Tuck Furious das zugleich eine Kernmechanik für Atitlan Riders ist. 

Das Original, Das Ruhige Jahr von Avery Adler, hab ich mir daraufhin als ins Deutsche übersetzte PDF von System Matters besorgt, gelesen und für gut befunden. 

Wie Immer bei meinen Rezensionen gilt: Fickt Euch! Ich bekomme weder Geld noch andere Vergütungen dafür. Ich schreibe Rezensionen, weil mir ein Produkt gefällt und ich dies, in einem Anfall von Geltungsdrang, der Welt mitteilen möchte. 

Fangen wir mit dem Original an. Das Ruhige Jahr ist ein spielleiterloses Kartenmalspiel. Die Geschichte wird durch Spielkarten vorangetrieben, der Ablauf eines Spielabschnittes (einer Woche) ist klar geregelt, Erzählrechte hat die Person. die gerade die Woche ausgestaltet, alle anderen müssen hier schweigen (es sei denn, es wurde die Aktion Diskussion ausgelöst, wobei diese auch wieder eng reglementiert ist) oder zeigen Abneigung, in dem sie einen Ärger-Stein nehmen. Zusammen mit ein paar Karteikarten, auf denen unter anderem festgehalten wird, welche Ressourcen reichlich, welche spärlich vorhanden sind, ein paar Würfeln als Counter und Bleistiften hat man zusammen mit dem Regelwerk alles, was man zum Spielen braucht. Man spielt in diesem Spiel nicht eine Einzelperson, sondern eine Gruppe überlebender in der Postapokalypse und bildet Gruppenprozesse ab. Das Spiel endet automatisch, sobald der Pik-König gezogen wird. Da die Farbe Pik mit dem Winter assoziiert ist, passiert das irgendwann ab der 40ten, spätestens aber in der 52ten Woche. Der Pik-König ist dann das endgültige Ende, die Apokalypse, die die Überlebenden einholt. 

Pro Woche kann die Person, die grade dran ist, drei Aktionen Ausführen. Entweder etwas neues Entdecken (und auf der Karte einzeichnen), ein Projekt beginnen oder eine Diskussion abhalten. Projekte erhalten einen Counter (der Würfel wird auf z.B. 4 gedreht, das bedeutet, das Projekt dauert 4 Wochen), welcher jede weitere Woche herunterzählt. Am Ende entscheidet die Person mit dem Erzählrecht, ob ein Projekt scheitert oder nicht. 

Quelle: Ein ruhiges Jahr S. 71 

Kernmechanik des Spieles sind die Spielkarten, die im Spiel als Orakel bezeichnet werden. Jede karte hat zwei Bedeutungen. Die Wahl liegt bei der Person, die gerade das Erzählrecht hat.  

Quelle: Das ruhige Jahr, S. 58 

Das Originalspiel ist super, aber was ist mit dem Hack? Lassen wir doch das (optisch sehr puristisch gestaltete) Spiel selbst zu Wort kommen: 

Dies hier ist eine Variante von Das Ruhige Jahr, die dem Leben der Menschen im Hambacher Wald gewidmet ist. [… ]

Wir spielen in einem fiktiven Hambacher Wald – nicht im Realen. Nichts, das wir erzählen muss mit tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen – im Gegenteil sind wir eingeladen unsere eigene Gemeinschaft im Hambacher Wald zu formen und zu finden. […]

Im Hambacher Wald haben jahrelang Aktivist*innen für eine bessere Zukunft demonstriert. Sie haben demonstriert im Sinne Wortsinne: dass ein anderes Leben möglich ist, indem sie in Baumhäusern lebend einen kleinen, alten und wunderschönen Wald behütet haben. Erst als es dem Konzern RWE und der ökonomisch und agitatorisch mit diesem Konzern tief verstrickten Landesregierung von NRW in den Sinn kam, diesen Wald noch schnell zu zerstören, bevor ein Konsens auf Bundesebene in der Kohle-Kommission für das klimatechnisch nötige Ende der Braunkohle, dieses unnötig machen würde, wurden die Menschen, die im Hambacher Wald lebten, zu Kriminellen bis Schwerkriminellen erklärt. Dabei schreckte der Innenminister Reul (CDU, im Aufsichtsrat von RWE) nicht vor Lüge und Hetze zurück, die die Baumhaus Bewohner in die Nähe von „aus dem Ausland eingesickerten“ Terroristen zu rücken. Die Polizei Aachen rückte mit angeblichen Beweisen an, dass die Bewohner*innen tödliche Fallen im Wald errichtet hätten, um sich gegen die Räumung zu wehren, die wegen völlig absurden Brandschutz-Bestimmungen fingiert wurde. Die angeblichen Beweise stellten sich als simple Gegengewichte für Hängebrücken heraus. Aber wie in vielen weiteren Fällen, wurde von Staatsseite weiter Propaganda betrieben und mit dieser Hetze im Kopf Tausende von Polizist*innen in den Wald geschickt, die mit teils rücksichtsloser (und dokumentierter) Gewalt gegen die Bewohner*innen vorgingen. Dabei ging es den Bewohner*innen nie um Gewalt, sondern um ein selbstbestimmtes Leben bei dem Selbstbestimmtheit auch bedeutet mit Mensch und Natur achtsam umzugehen. Die Kraterlandschaft in direkter Nachbarschaft, entstanden um die unsere Atmosphäre zerstörende Braunkohle herauszuholen, zeugte von dem, was die Bewohner*innen für den übrig gebliebenen Teil des Hambacher Waldes mit ihrem einfachen Leben in Häusern in Baumwipfeln für alle Menschen und Lebewesen auf diesem Planeten exemplarisch an diesem Stück Wald verhindern wollten. 

Quelle: Ein ruhiges Jahr im Hambacher Forst, S 1-2

 Aha, ein (zumindest in Teilen) Spiel über Umweltaktivismus. Passend für unsere Zeit, irgendwie, und vielleicht auch für Menschen interessant, die nichts mit dieser Art Aktivismus anfangen können (oder wollen). Von wegen einer Meile in den Schuhen des anderen und so. 

Auch hier ist, wie im Originalspiel, das Ende schon gesetzt: Irgendwann im Winter kommt das Pik-Ass und damit die endgültige Räumung des Waldes. Auch der Rest ähnelt dem Original. Bei den Aktionen gibt es aber eine kleine, feine Änderung: Neues Entdecken fällt raus, dafür kann man eine Schwierigkeit einführen. 

Eine Schwierigkeit einführen 

Die aktive Spielerin beschreibt in kurzen Antworten eine Schwierigkeit, die sich für die Gemeinschaft ergibt und zeichnet dieses auf der Karte ein. Dabei kann es sich um einen Konflikt in der Gemeinschaft, eine äußere Bedrohung, Neuankömmlinge, eine Veränderung der Landschaft etc. Diese Aktion ist nützlich, wenn man das Gefühl hat, dass momentan zu wenige Herausforderungen zur Überwindung für die Gemeinschaft bereit stehen. Eingeführte Schwierigkeiten wiederum lassen sich in der Folge gut durch Projekte angehen. 

Quelle: Ein ruhiges Jahr im Hambacher Forst, S 5 

Der Unterschied findet sich jedoch in den Karten und dem daraus folgenden Orakel. Zwar steht im Hack, dass auch hier jeder Spielzug einer Woche entspricht, doch sind im Kartendeck nur Ass, Bube, Dame, König, 9 und 10 drin, so dass das Deck nur 24 Karten dick ist. Eine Woche wären dann also etwa 15 Tage! 

Ein ruhiges Jahr im Hambacher Forst, S. 6 

Fazit 

Ich finde beide Spiele, Original wie Hack, super. Doch den Hack finde ich, ehrlich gesagt, noch um ein Stück besser als das Original. Es ist eine Reminiszenz an die Umweltbewegungen und in Zeiten, in denen Klimaaktivisten von der Bevölkerung abgelehnt werden (teilweise zu Recht), ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs. 

Ein Gedanke zu „Rezension: Von ruhigen Jahren – Über ein Erzählrollenspiel und dessen Hack 

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