Spielbericht: Ein ruhiges Jahr im Hambacher Wald – Rollenspiel im Ethikunterricht

Ich unterrichte als Lehrer an einer Berufsschule im schönen Bayern. Als Wirtschaftspädagoge an einer Berufsschule darfst du so ziemlich alles unterrichten, was an Fächern angeboten wird. Datenverarbeitung bei den Medizinischen Fachangestellten? Mach mal. Deutsch? Mach mal. Politik und Gesellschaft (formerly known as Sozialkunde)? Jup, das kannst du auch unterrichten. Ethik? Ja, mach mal.

Seit zwei Jahren gilt der neue Lehrplan Ethik an Berufsschulen. Mit dem neuen Lehrplan kam für die 10. Klassen ein neuer Lernbereich hinzu: Umweltethik. Hier mal ein kleiner Blick in den Lehrplan, der zeigen soll, welche Kompetenzen wir unseren Schüler*innen vermitteln sollen:

Quelle: bs_lp_ethik.pdf (bayern.de), S.15

Puh, ein ziemlicher Brocken! Zudem für viele unserer Schüler*innen, vor allem mit Migrationshintergrund, so unendlich weit weg von ihrer Lebensrealität. Zudem unterrichte ich in einer ziemlich konservativen Ecke Bayerns, in dem noch Bürgerbegehren gegen die Ansiedlung einer modernen Batteriefabrik eines deutsche Autoherstellers laufen, weil die den guten Gäuboden-Boden verbrauchen! Aber ich bin ja vor kurzem über Gerrit Reininghaus Hack für Ein ruhiges Jahr gestolpert, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Die Idee des Spieles – Aufbau einer Gesellschaft im angesichts eines unvermeidlichen Niederganges – passt dank der Gefahr des Spieles, den Tagebaus am Hambacher Forst, super in diesen Lernbereich.

Für alle Nichtbayern: Wir Lehrer in Bayern haben ja eine Universalwaffe, mit der wir so ziemlich alles rechtfertigen können, was wir so abseits der Lehrpläne noch so unseren Schülern beibringen.

Art. 131 BayVerf.

(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.

Vermittlung von Umweltbewusstsein ist also bei uns Verfassungsziel.

Da ich eh schon die Noten fürs Zeugnis fertig hatte, nutzte ich den Juni und Juli mal dazu, mit meinen Schüler*innen ein Rollenspiel zu spielen. Das funktionierte auch deswegen gut, weil der Juli sowieso die Zeit der Wandertage ist und mir teilweise 15 Schüler*innen in der Ethikstunde fehlten.

Ich habe Ein ruhiges Jahr im Hambacher Wald insgesamt 4 Mal in verschiedenen Klassen gespielt. Die Klassen waren dabei so heterogen, wie sie an einer Berufsschule in Ethik nur sein können. Schüler*innen aus verschiedenen Berufen, Jahresstufen und kulturellen Hintergründen (Preußen neben Baiern, Kosovo-Albanern neben Kasachen, von Mali bis Russland, da ist alles dabei) mit Sprachniveau irgendwo zwischen A2 und B1 bis deutschen Muttersprachler*innen. Die Gruppengröße lag jeweils so um die 6-8 Schüler*innen. Umweltschutz spielt dabei für die wenigsten eine Rolle in ihrem täglichen Leben und Greta Thunberg, das Poster Child der Klimaproteste 2019, liegt für viele so weit in der Vergangenheit, dass sie sich nicht mal mehr daran erinnern können, was da im Jahr vor Corona los war. Einige waren da noch nicht mal in Deutschland!

Dafür kamen die Schüler*innen aber schnell ins Spiel. Das gemeinschaftliche Schaffen einer Karte und einer Geschichte zu dieser Karte, das aufbauen einer Gemeinschaft, das zog. Das zog so sehr, dass die Bedrohung (der Tagebau) dabei manchmal in den Hintergrund geriet. Eine Gruppe machte da eine richtige Telenovela draus, mit der Hauptperson Günther, der mit allen (vom Dosenfraß bis zur Unterkunft) unzufrieden war, sich unglücklich verliebte und…

Die 2. Erkenntnis war, das eine Stunde die Woche nicht ausreichen, um das Spiel zu spielen. In 45 Minuten schaffe ich eine kurze Einleitung ins Spiel und die erste von 4 Jahreszeiten. Ich denke, um das Spiel effektiv spielen zu können, braucht man auf jeden Fall eine Doppelstunde, die ich bei Tagesklassen nicht habe. Was aber auffällt ist, dass die Runden nach 2-3 Durchgängen deutlich flüssiger ablaufen.

Für die nächste Erkenntnis muss ich etwas ausholen. Ich hab ja oben schon von unseren Schüler*innen mit Migrationshintergrund gesprochen. An meiner Schule werden Schüler*innen aus 31 verschiedenen Nationen unterrichtet. Die machen etwa 40 % der Schüler*innen aus, und das in einer relativ kleinen Stadt (48.000 Einwohner) bzw. Landkreis (104.000 Einwohner -ohne Stadt, die ist kreisfrei). Offiziell bräuchte man Sprachkenntnisse auf B1-Niveau, um eine Ausbildung beginnen zu können. Vor allem aber die frisch Zugezogenen haben dieses Niveau noch nicht. Hinzu kommt, dass es auch gravierende Heterogenität bei den bisherigen Abschlüssen gibt. Wir haben von abgebrochenen Studium über Mittlere Reife bis zum Abschluss Lernen (also den Abschluss, den man an einem Förderzentrum Lernen erwerben kann und der vom Niveau weit unter dem Mittelschulabschluss (formerly known as Hauptschulabschluss) liegt, alles dabei. Ich liebe ja diese Heterogenität und mit den Richtigen Werkzeugen ist sie auch gut zu händeln, aber der Hack von Gerrit Reininghaus war für meine Schüler sprachlich zu hoch. Wenn man eine solche Erkenntnis hat, muss man auch handeln. In meinem Fall habe ich CahtGTP genommen du mir den Text so umschreiben lassen, dass ihn ein 10jährier bzw. eine 10jährige versteht. Zusammen mit ein paar Ideen aus dem Bereich Einfache Sprache (jeder Satz eine neue Zeile, kürzere Sätze, Ziffern statt worte usw) ist ein Text rausgekommen, der sicher noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, aber zumindest eine Arbeitsgrundlage darstellt. Den habe ich Gerrit geschickt und nun ist er dort auf seiner Homepage (alles-ist-Zahl, wie passend für einen Mathematiker) verlinkt.

So ein Rollenspiel sollte ja als pädagogische Einheit nicht alleine stehen. Ich habe die nächste Schulstunde nicht weitergespielt (was aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich war), sondern ein Video zum Thema gezeit. Ich finde ja das hier, von Green Crime, genau richtig. Es spricht weniger den Klimaschutzgedanken an, sondern die sehr konservative Idee von der Bewahrung der Heimat, von Recht auf Eigentum und erst im zweiten Teil von Umweltschutz und Arterhaltung.

Fazit

Ich hoffe, ich konnte mit meiner Erfahrung zum Erkenntnisgewinn beitragen. Ich werde auf jeden Fall dieses Spiel nächstes Jahr wieder in Ethik einsetzen. Meine Hauptmission fürs Schuljahr 23/24 wird aber sein, diese Perle des Rollenspiels unter den Kollegen zu verbreiten. Eine SchilF (Schulinterne Fortbildung) ist schon in Planung 😉

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..